Von: Karl Kastner, MSc., 05/2018
„Food-Fraud“ Gefahr? Chance? ….oder doch beides?
Immer mehr Rohstoffe, welche bisher in Europa erzeugt wurden, kommen inzwischen aus Drittländern (Südasien, Afrika, China, …). Neue Lebensmittel, die vor 20 Jahren bei uns so gut wie unbekannt waren (pazifische Fische, Tropenfrüchte …), finden sich in den zugekauften Produkten. Aufgrund der weltweiten Warenströme wird es auch für Experten zunehmend schwieriger, den Überblick über potenzielle Gefährdungen und Risiken zu behalten. Ein heute in Übersee hergestelltes Produkt, kann bereits nach wenigen Tagen bei uns angeboten werden. So ist es möglich, dass sich Gefährdungen sehr schnell über die gesamte Supply Chain ausbreiten.
Wer keine Informationen über die Gefahrenquellen und sich daraus ergebende Risikomaßnahmen besitzt, riskiert gravierende Folgen.
Alleine im Jahr 2017 wurden über 135 Betrugsfälle aufgedeckt. Spitzenreiter waren Italien, Frankreich und Spanien. Auffällig waren vor allem fehlende Angaben oder die Kennzeichnung falschen Ursprungs.
Was versteht man unter Lebensmittelbetrug?
Allgemein versteht man unter Lebensmittelbetrug das vorsätzliche Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit der Absicht, durch Verbrauchertäuschung finanziellen Gewinn zu erzielen.
Nach Definition der EU-Kommission zu Food Fraud, handelt es sich um Lebensmittelbetrug, wenn vier Kriterien gegeben sind:
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- Verletzung des EU-Lebensmittelrechts
- Absicht
- Wirtschaftlicher Gewinn
- Täuschung der Kunden
Nachfolgend die häufigsten Formen von Verstößen, welche auch oft nebeneinander einhergehen, mit dem Ziel, wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen.
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- Zusatz eines lebensmittelfremden - exogenen - Stoffes zur Vortäuschung einer besseren Qualität oder zur Streckung (Zucker, Imitate, andere ähnliche Pflanzenteile),
- Zusatz eines im Lebensmittel bereits enthaltenen - endogenen - Stoffes zur Streckung oder Vortäuschung höherer Qualität (Vitamine, Eiweiß, Fett..),
- Verschnitt von verschiedenen – geographischen und/oder botanischen/tierischen Herkünften ohne entsprechende Kennzeichnung,
- Anwendungen nicht erlaubter Herstellungsprozesse (Strahlenbehandlung, …),
- Falschdeklaration - falsche Angaben oder Auslobungen auf dem Etikett,
- Anwendung nicht zugelassener oder veränderter Prozesse,
- Falsche Herkunftsbezeichnungen,
- Messmittel zum eigenen Vorteil falsch kalibriert,
- Gefälschte Analysenzertifikate oder sonstige Berichte und Nachweise,
- etc.
In den letzten 30 Jahren gab es zahlreiche Lebensmittelbetrugsfälle, die Bekanntesten sind in nachfolgender Tabelle angeführt:
Wie konnte es soweit kommen? Oft stellt sich die Frage, leider erst aber immer im Nachhinein.
Raum und Gelegenheit zum Lebensmittelbetrug wird geboten wenn Schwachstellen bei der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln vorhanden sind, welche aber durch geeignete Lenkungsmaßnahmen beherrschbar sind (bzw. in der Vergangenheit gewesen wären).
Durch diverse Lebensmittelbetrugsfälle, insbesondere jedoch durch den Pferdefleischskandal, haben die EU-Kommission und die wichtigsten Lebensmittelstandards darauf reagiert. Nachfolgend wollen wir uns mit den Anforderungen des IFS Food 6.1 auseinandersetzen.
Forderung aus IFS Food, Version 6.1 – Kriterium 4.21 (Food Fraud): Ursprünglich war die Veröffentlichung der neuen Version 7 für das Frühjahr 2018 vorgesehen. Dieser Zeitplan hat sich nun geändert: Vor dem Herbst 2018 ist mit der Version 7 nicht zu rechnen. Um sicherzustellen, dass der IFS Food Standard auch in der Zwischenzeit die GFSI-Anforderungen erfüllt, wurde im November 2017 die Version 6.1 veröffentlicht. Die neuen Forderungen sind ab 01.07.2018 gültig.
Zusammengefasst fordert der Standard im Kapitel 4.21 eine dokumentierte und definierte Schwachstellenbewertung („Vulnerability Assessment“), welche sich auf alle Rohmaterialien, Packmittel und ausgelagerte Aktivitäten zur Risikoermittlung auf Austausch, falsche Etikettierung, Fälschung und Betrug bezieht. Daraus resultierend muss ein Plan, mit Methoden zur Kontrolle und Überwachung, welcher zur Risikominderung und Bekämpfung von Lebensmittelbetrug dient, umgesetzt sein (d.h. gelebt werden). Diese Schwachstellenbewertung ist jährlich zu überprüfen. Wenn sich durch die Schwachstellenbewertung ein erhöhtes Risiko ergibt, müssen Korrekturmaßnahmen getroffen werden und wo notwendig, Methoden, Kontroll- und Überwachungsverfahren angepasst werden.
Welche Vorgehensweisen empfehlen sich, um die Forderungen des IFS 6.1 Kapitel 4.21 umzusetzen:
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- Benennen eines Food-Fraud Teams (ähnlich HACCP, Food-Defense)
- Das Team soll im Thema Food-Fraud geschult sein
- Dieses Team soll sich aus Experten verschiedener Bereiche zusammensetzen (QM, Labor, Einkauf, Recht,…. )
- Benennung eines Food-Fraud-Verantwortlichen
- Bewerten Sie jeden eingekauften Artikel (ggf. Produktgruppe)
- Sehen Sie sich neue zu listende Artikel / Produkte genau an
Das multidisziplinäre Food-Fraud-Team führt eine systematische, dokumentierte Risikobewertung durch und beleuchtet die Lieferkette (incl. aller Rohmaterialien, Zutaten, Lebensmittel- oder Verpackungsmaterialien & ausgelagerte Prozesse). Dabei umfasst die Verwundbarkeitsanalyse mindestens:
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- Die Identifizierung potentieller Lebensmittelbetrugsaktivitäten unter Verwendung bekannter und zuverlässiger Datenquellen,
- die Bewertung des Risikoniveaus; bezüglich Produkt, als auch Bezugsquelle
- die Bedarfsbewertung für zusätzliche Kontrollmaßnahmen,
- Die Verwendung der Ergebnisse der Verwundbarkeitsanalyse bezüglich Lebensmittelbetrug für die Entwicklung und Umsetzung des Plans zur Verminderung von Lebensmittelbetrug,
- eine jährliche Überprüfung, oder falls aufgrund von Veränderungen der definierten Risikokriterien ein erhöhtes Risiko identifiziert wird.
Nachfolgend einige Fragen, wo es Sinn macht, diese im Zuge der Analyse auch zu stellen:
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- Wo ist der Standort des Lieferanten, in welchem Kulturkreis befindet sich dieser?
- Ist der zugekaufte Artikel hochpreisig? Werden entsprechende Mengen umgesetzt?
- Wie sind die Rohwaren verpackt? Gibt es Originalitätsverschlüsse / Siegel / Plomben?
- Wie ist die Beschaffenheit des Rohstoffes und wie viele Stationen gibt es vom Anbau bis ins Unternehmen?
- Gibt es Kontrollmaßnahmen wie Lieferantenaudits, in welchen Themen wie Verfälschungen, Rückverfolgbarkeit, Massenbilanz und ethische Aspekte auditiert werden?
- Hat der Lieferant eine Monopolstellung im Unternehmen (z.B. keine Austauschalternative, sehr günstiger Preis, etc.)
- Gibt es Zertifikate / Bescheinigungen wie IFS, BRC, Bio etc.? Reichen diese aus um Risiken auszuschließen?
- Können bereits bekannte Verfälschungen bei Routineuntersuchungen gefunden werden, sind diese entdeckbar? Gibt es dazu einen Prüfplan?
Nachfolgend sind die Prozesse und Anforderungen, wann, wo, wie betrügerische Aktivitäten die über Verwundbarkeitsanalyse bezüglich Lebensmittelbetrug identifiziert werden und möglichst vermindert werden können, festzulegen. Der aus der Analyse resultierende Plan definiert jene Maßnahmen & Kontrollen, die erforderlich sind und vorhanden sein müssen, um die erkannten Risiken wirksam zu vermindern.
Durch welche Präventionsmaßnahmen im Betrieb kann die Möglichkeit reduziert werden, um ungewollt Opfer eines Lebensmittelbetruges zu werden:
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- Exzellente Warenkunde der Herstellungsprozesse zu beschaffender Waren sowie der vorgelagerten Supply Chain beim Lieferanten, beginnt beim Primärerzeugnis.
- Tiefgehende Spezifikationen der zu beschaffenden Waren mit quantitativ messbaren Parametern, einschließlich der anzuwendenden Analysenmethoden.
- Ausgereifte betriebswirtschaftliche Marktkenntnis des Handels und der Handelswege, der die beschaffenden Waren und die zusammenhängende Preisentwicklung am Markt stets im Auge hat.
- Qualifiziertes Kommunikationssystem mit Lieferanten, Verbänden und Kollegen mit ähnlicher Interessenslage, um kritische Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu diskutieren.
- Kontinuierlich auszubauendes Wissensmanagementsystem über neue naturwissenschaftliche analytische und lebensmitteltechnologische Zusammenhänge, um „neue Geschäftsfelder“ frühzeitig zu erkennen.
- Ausgefeiltes Qualitätssicherungssystem entlang der Supply Chain, bestehend aus strukturierten Produkt-, Prozess- und Systemaudits beim Lieferanten.
Produktmonitoring in Verbindung statistischer Wareneingangs- und Freigabekontrollen, die Fehler in einer angemessenen Wahrscheinlichkeit bei erträglichen Kosten erkennen lassen.
- Juristisch ausdiskutierte Einkaufsverträge, die Abweichungen klar sanktionieren.
Tatsache ist auch, dass im deutschsprachigen Raum ein Lieferant, welcher nur einige 100 Kilometer entfernt ist und an einem Arbeitstag in deutscher Sprache auditiert werden kann, wesentlich häufiger beurteilt wird, als ein Lieferant z.B. in China. Dies würde eine einwöchige Dienstreise in ein nicht-englisch-sprechendes Land, mit Dolmetscher in einen fremden Kulturkreis, zu deutlich höheren Kosten erfordern.
Ein Unternehmen, welches die Chancen des globalen Marktes nutzt, muss sich auch bewusst sein, dass Risiken bestehen und die Maßnahmen der Qualitätssicherung nach oben hin angepasst werden müssen, um dadurch weiterhin mit „SICHERHEIT“ erfolgreich zu sein.